Durch Menschenmengen

aus Japan

Ich will es wissen, stehe um 7Uhr auf und verlasse bald darauf das Haus. Das Haus ist in diesem Fall die Wohnung von Sayoko.

Sie hat uns über Couchsurfing eingeladen, und so dürfen wir unsere Woche in Tokio bei ihr verbringen. Ich hatte sie gestern gefragt, ob es stimmt was man hört, dass es hier in der Stadt Menschen gibt, deren Beruf daraus besteht, andere Menschen in die U-Bahnen reinzudrücken. Mit Handschuhen natürlich, wir sind ja immerhin in Japan. Sie hat mich angeschaut, als wäre ich ein kleiner Junge, hat gelacht und hat gesagt: „Stehe morgen um 7 Uhr auf und nimmt gegen 8 Uhr die Metro nach Shibuya“!

Also bin ich jetzt bereit, mit kaum Gepäck, ohne Rucksack, aber auch ohne Nadelstreifen-Anzug, stehe ich mit meiner Winterjacke in der Tür und sage zu Gwen, „Ich geh dann mal “in die Stadt“!“ Merke aber schon während ich spreche, dass ich das komisch finde. Wie kann man in einer 36 Millionen Metropole “in die Stadt“ gehen. So was sagen wahrscheinlich nur “Land-Eier“.

Ich schmeiße unser Tagesbudget in den Ticketautomaten, ja das Geld ausgeben fällt in Japan besonders leicht, reihe mich in die Rolltreppen ein, und sehe schon vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr. Der Wald ist in diesem Fall der Boden der Metro-Station. Und da sind sie. Männer in blauer Uniform mit Mützen und weißen Handschuhen. Vor jeder Metrotür einer. Metro kommt, Türen auf, vielen Menschen rein, Türen zu. Der Mann mit den weißen Handschuhen muss nicht drücken helfen. Ich bin fast ein bisschen enttäuscht. Aber er schwingt, synchron mit seinen vielen Kollegen, seine Arme in einer sehr eleganten Choreographie, das Zeichen, dass jetzt keiner mehr rein darf und die Metro abfährt. Keine gefühlte Minute später die nächste, ich werde mit hinein gesogen. Es geht erstaunlich geordnet zu, ich muss kurz an das Chaos und Geschrei in indischen Zügen denken und bin überrascht. Die letzten Einsteigenden drehen sich um und drücken sich mit dem Arsch (man muss dass einfach so beschreiben) in die Bahn. Alle machen mit, lassen sich drücken und trotzdem berührt sich hier niemand mit den Händen. Ein faszinierendes, tausendfach geprobtes Schauspiel.

Und ich denke: „Warum habe ich die scheiß Winterjacke an?“ Der Schweiß kommt schon nach drei Stationen. Nichts für Klaustrophobiker oder Leute in sibirischen Winterjacken. Und so ist es mit Tokio. Es fasziniert mich. Der Hochhaus-Blick über die Stadt, das Gewusel, die Dimensionen. Es fasziniert mich, aber nicht lange. Denn schon am 2. Tag kommt viel zu schnell das Kopfweh, das Geflimmer, die Überforderung und die Frage: „Warum machen Menschen so was? Wo geht das hin?“ Es geht hier längst nicht mehr darum, dass man „in die Stadt“ fährt um dort Schuhe zu kaufen, wegen der guten Auswahl oder so. Die Stadt ist ein Lebensmodell, auf der ganzen Welt, sie ist Sehnsucht, Selbstverwirklichung, die Idee von einen „besseren“ Leben.

Wir sind da, Shibuya, Tokio…..
Alles wusselt, keiner steht still und ich denke:
„Ach, wie schön war es doch in Sibirien!“

Davor
Danach
2018-10-15T13:33:17+00:00

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen